Wie der Bug am Schiff vorne ist, ist die Kanzel vorne an der Erde; alles andere kommt hinter ihr; die Kanzel führt die Welt. Von hier geht der Zorn Gottes über die Welt; sie trifft die erste Woge seines Zorns. Von hier wird der Gott der guten und der tödlichen Wetter zuerst angerufen.
Ja, die Welt ist ein Schiff, das in See sticht, nicht eines, das zum Hafen zurückkehrt. Und die Kanzel ist sein Bug.
— Herman Melville, „Moby Dick“
Ein Predigttagebuch dient dazu, bei der Predigt aufmerksamer zuzuhören, das Gehörte für sich selbst wahrzunehmen und mit in den Alltag hinein zu nehmen.
Ein Tagebuch zeichnet sich durch verschiedene Merkmale aus: Es ist…
- persönlich
- intim
- geheim
- ein „Denkbuch“
- ein Ort für Träume
- ein Ort für Gefühle
Ein Tagebuch ist kein Schulheft. Es geht nicht darum, alles Gesagte Wort für Wort mitzuschreiben oder die Predigt hinterher anhand des Tagebuchs reproduzieren zu können. Man hat gegenüber einem Tagebuch keinerlei Verpflichtung, was aufgeschrieben wird und was nicht. Beim Schreiben eines Tagebuchs müssen auch keine abstrakten Definitionen oder Merksätze herauskommen. Das Tagebuch schreibt man nur für sich selbst und für niemand anderen.
Das bedeutet auch, dass man nicht in einen Wettstreit zu verfallen braucht, wer besser oder aufmerksamer bei einer Predigt zuhören kann. Es geht nicht um quantitatives Hören (Wie viel habe ich verstanden?), sondern existentielles Hören in der Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf.
Es geht darum, Gottes Wort als Aussprache wahrzunehmen, als Gottes Wort an uns. Das Wort Gottes noch einmal anders auf sich wirken lassen. Es geht um verschiedene Entdeckungen, die man beim Hören von Gottes Wort machen kann. Das Tagebuch kann eine Hilfe sein, damit das Wort Gottes tiefere Spuren in uns selbst und in unserem Alltag hinterlässt.
Ein Vorschlag für Tagebuchseiten
Für den Einstieg haben wir uns folgende Gliederung für ein Predigttagebuch überlegt: Es gibt vier Seiten für jede Predigt. Man kann dann einen A4-Bogen in der Mitte falten und es ergeben sich automatisch vier A5-Seiten. Diese kann man folgendermaßen verwenden:
1. Bibelseite
Dies ist ein Vorschlag für Ihre „Stille Zeit“ am Samstag: Den Bibeltext anschauen, über den am Sonntag gepredigt wird. Die meisten Pastoren halten sich an die sog. „Predigtreihen“, in denen festgelegt ist, welcher Text an welchem Sonntag drankommt. Das schützt die Prediger davor, ständig über wenige „Lieblingstexte“ zu reden. Für jeden Sonntag des Kirchenjahres gibt es im Gesangbuch außerdem festgelegte Lesungen. Diese haben z.T. eine sehr lange Tradition und geben jedem Sonntag einen thematischen Rahmen. Eine sehr schön gestaltete Übersicht finden Sie unter https://www.kirchenjahr-evangelisch.de. Hier finden Sie auch für jeden Sonntag die Angabe des Predigttextes.
Die „Bibelseite“ darf im letzten Viertel einen abgetrennten Abschnitt haben: Platz für ein Gebet. Gott redet uns an in der Heiligen Schrift und wir antworten ihm im Gebet. Unser Leben im Glauben hat die Struktur eines Zwiegespräches zwischen uns und Gott.
Hier auf der predigttagebuch.de veröffentlichen wir einmal in der Woche (hoffentlich oft am Montag 😉 den Predigttext für den folgenden Sonntag mit einem kleinen Impuls für ihre Bibelseite!
2. Hörseite
Die Hörseite ist ein Stichwortspeicher. Während des oder nach dem Gottesdienst kann man hier aufschreiben, welche Stichworte man in der Predigt gehört hat. Es kann sehr helfen, mitzuschreiben, um Gedanken klarer zu fassen und die Gliederung der Predigt besser zu erkennen. — Sollten Sie sich entscheiden, im Gottesdienst mitzuschreiben, haben Sie Gnade mit ihrem Prediger und lassen Sie ihn wissen, dass Sie ein Predigttagebuch führen und keinen Brief an Superintendent, Propst oder Bischof verfassen! Auch ihre Banknachbarn finden es vielleicht befremdlich, wenn Sie mitschreiben. Ein kurzer Satz kann Missverständnisse vermeiden helfen.
3. Denk- und Fühlseite
Nehmen Sie sich ein bisschen Platz für eine erste Reaktion. Was hat die Predigt bei ihnen ausgelöst? Gedanken und Gefühle sind keine so unterschiedlichen Dinge, wie man oft meint. Worte dafür zu finden, ist manchmal schwer, aber der Versuch lohnt sich!
4. Kreativseite
Gott unser Schöpfer, der uns zu seinem Ebenbild geschaffen hat, wollte, dass auch wir schöpferisch tätig werden. Die Kreativseite hat bei mir keine Linien oder Kästchen, sondern ist ganz weiß: Ganz viel Platz für was-immer mir einfällt. Nur im letzten Viertel ist ein kleiner Bereich abgegrenzt, der wie bei der Bibelseite Platz für ein Gebet bietet. Die kreative Reaktion auf die Predigt führt mich wieder zurück zu Gott. Auch hier spiegelt sich wieder die Struktur eines Zwiegespräches.