Exaudi ist der Moment zwischen Blitz und Donner, zwischen Klausur und Noten, zwischen dem Aufheulen der Motoren und dem Abheben des Flugzeugs. Der Kosmos hält den Atem an zwischen der Himmelfahrt des auferstandenen Jesus und der Herabkunft des Heiligen Geistes. – In diesem Moment lesen wir ein Gebet von Paulus für die Heidenchristen in Ephesus:
Ich beuge meine Knie vor dem Vater…
Aus Vers 14

Paulus kniet zum Beten. Das ist für uns vollkommen selbstverständlich, aber für Paulus und seine Leser war es ein statement.
Die übliche Haltung eines antiken, orientalischen Menschen vor Gott heißt „Proskynese“: der „Kuss auf jemanden zu“. Wenn es in der Bibel heißt, jemand „falle auf sein Gesicht“, etwa vor einem Engel, dann ist das gemeint. Wie sieht „Proskynese“ aus? Habt ihr schon mal gesehen, wie ein Muslim betet? Mit dem Gesicht zum Boden und den Beinen unter dem Bauch? Das ist Proskynese. Im Islam hat sich diese Tradition über die Jahrtausende erhalten.
Das Christentum ist einen anderen Weg gegangen. Der Grund dafür ist, dass Paulus mehrmals sagt, dass er seine Knie beuge im Gebet. Dies ist eine Anspielung auf ein Prophetenwort Jesajas:
Der Herr spricht: Wendet euch zu mir, so werdet ihr gerettet, aller Welt Enden; denn ich bin Gott, und sonst keine mehr. Ich habe bei mir selbst geschoren […] Mir sollen sich alle Knie beugen und alle Zungen schwören.
Jes 45,22–23
Aller Welt Enden sollen sich zu Gott wenden, also auch die Heiden. Das ist die höchste Spitze der Prophetie Jesajas: Dass Gott der einzige Gott ist, nicht nur der Stammesgott Israels, sondern der Gott aller Menschen. Wenn Paulus vor den Heidenchristen davon redet, dass er die Knie beuge, will er sagen, dass diese Prophezeihung in ihnen wahr geworden ist.
Ich gebe zu, auch um die Proskynese zu vollziehen, muss man „die Knie beugen“. Vielleicht knien Christen beim Beten auch nur, um sich von anderen irgendwie zu unterscheiden, oder weil die orientalischen Ursprünge irgendwann nicht mehr so wichtig waren. Doch uns kann das Knien eine Erinnerung daran sein, dass sich „aller Welt Enden“ zu Gott wendet in Jesus Christus. Auch wir, die wir tausende Jahre später geboren sind und in einer vollkommen anderen Weltgegend, sind Gottes Eigentum – und das ist keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Geschenk aus Gnade und Liebe.
Gedankenanstöße
- Wie ist mir dir? Kniest du zum beten? Im Gottesdienst?
- Aufstehen, sitzen und knien kann für erhebliche Irritationen sorgen. Einige bestehen darauf, für andere ist es „drüber“. Was meinst du, warum das so ist?
- In unterschiedlichen christlichen Traditionen kommt auch Proskynese noch bzw. wieder vor. Würdest du das mitmachen? Findest du es angemessen? Warum ja, warum nicht?